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»The Honest Bookshop« in Hay on Wye, Wales, England

Literarische Orte

Hay-on-Wye – eine literarische Metropole

Die Geschichte des kleinen walisischen Dörfchens Hay-on-Wye klingt wie ein Märchen für alle Buchliebhaber: Auf knapp 1.500 Einwohner kommen 10 Millionen Bücher - und das sogenannte „Hay Festival“ sorgt alljährlich für einen wahren Ausnahmezustand.

„Das Paradies habe ich mir immer als eine Art Bibliothek vorgestellt“, sagte der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges einst und fasste damit wohl den Wunsch vieler lesebegeisterter Menschen in Worte. Das Jenseits verbringen in einer riesigen Bibliothek voller Bücher. Ein Traum.

Ein Traum? Die Geschichte des Dorfes Hay-on-Wye zeigt, dass sogar mehr möglich ist. Und das ganz ohne auf das Jenseits warten zu müssen. Es ist eine Geschichte, die wie ein Märchen klingt. Sie handelt von einem verwunschenen Dorf, jeder Menge alter Bücher, einem Mann, der plötzlich König wird, und seinem Pferd, das als Premierminister ernannt wird.

Hay ist ein kleines Dorf in Wales, das direkt an der Grenze zu England liegt. Heute hat es der unscheinbare Ort zu weltweiter Berühmtheit geschafft, doch mit nur ca. anderthalbtausend Einwohnern war es noch vor einigen Jahrzehnten ein unbekannter, ländlich gelegener Ort, der wirtschaftlich nicht viel zu bieten hatte.  

In diesem Bauerndorf wuchs Richard Booth als Sohn eines ortsansässigen Mechanikers auf. Seine Studienjahre verbrachte er zwar fernab im britischen Oxford, nach seinem Abschluss zog er aber wieder zurück in sein Heimatdorf. Als junger Mann, ohne Arbeit und Perspektiven, beschäftigte er sich mit der Frage, wie er dem kleinen Ort zu einen wirtschaftlichen Aufschwung verhelfen konnte, und entschied sich, die alte, leer stehende Feuerwache in Hay zu kaufen, um dort ein Buch-Antiquariat einzurichten. Die Einwohner Hays reagierten skeptisch. Es war ein kleines Dorf und nur wenige lasen. Doch Booth ließ sich nicht beirren. In ganz Großbritannien sammelte er alte Bücher und aus Amerika ließ er Antiquitäten mit Schiffen über den Ozean  transportieren, um seinen Kunden die größtmögliche Auswahl an Literatur anbieten zu können.

Booth’s gewagter Plan ging auf. Der Second Hand Shop für Bücher war schon bald überregional bekannt und neugierige Kunden aus ganz Großbritannien reisten an, um sich die Buchhandlung anzusehen und in der breiten Auswahl an Antiquitäten ausgiebig zu stöbern. Booth eröffnete ein zweites Geschäft und schon bald fand er Nachahmer, die sich in Hay ebenfalls auf den Verkauf von Büchern spezialisierten. Der Grundstein für das weltweit erste Bücherdorf war gelegt – bereits 1970 war Hay als „Town of books“ bekannt.

Sieben Jahre später lud Booth etliche Journalisten nach Hay ein und verkündete offiziell, dass sich das Dorf vom Vereinigten Königreich abspaltete und aus der Europäischen Gemeinschaft austrat. Er ernannte sich selbst zu „König Richard des Unabhängigen Königreichs Hay-on-Wye“ und beförderte sein Pferd zum Premierminister. Und auch wenn dieser humoristische Akt keinerlei politische oder völkerrechtliche Auswirkung hatte, bescherte er dem Dorf enorme mediale Aufmerksamkeit und verhalf ihm zu noch größerer Bekanntheit.

Seit 1988 findet in der Stadt das große Hay Festival statt, das zehn Tage dauert und heute von der britischen Tageszeitung „Guardian“ gesponsert wird. Der ehemalige amerikanische Präsident Bill Clinton bezeichnete das Literatur-Event als „Woodstock des Geistes“. Etwa 80.000 Autoren, Verleger und literaturbegeisterte Besucher reisen jedes Jahr im Mai nach Wales, um an dem Festival teilzunehmen und die einmalige Atmosphäre der außergewöhnlichen Stadt zu genießen.

Mit über 30 Antiquariaten Büchern ist Hay-on-Wye heute eins der berühmtesten Buchdörfer der Welt. Allein in „Richard Booth’s Bookshop“ werden mehr als 50.000 Bücher zum Verkauf angeboten; auch das alte Kino sowie etliche Wohnhäuser wurden zu Buchhandlungen umfunktioniert. Die Bücher stehen dort in Regalen und stapeln sich auf dem Boden, den Tischen und Treppen. An der Mauer der noch aus dem 12. Jahrhundert stammenden Burg wurden reihenweise Regale angebracht, in denen heute – kreuz und quer – hunderte von Büchern liegen.  Die größeren Buchhandlungen haben 365 Tage im Jahr geöffnet und bieten neben englischer Literatur auch deutsche, französische und spanische an.  10 Millionen Bücher beherbergt das Dorf insgesamt.

Das ehemalige Bauerndorf wurde ein Vorbild für mehr als 30 Buchdörfer auf der ganzen Welt. Sie alle haben eins gemeinsam: Sie sind zumeist ländlich gelegen, verfügen über einen alten, schönen Stadtkern und spielen in wirtschaftlicher Hinsicht keine bedeutende Rolle. Ihre Bewohner aber haben im Buch eine besondere Möglichkeit entdeckt, die Wirtschaft zu fördern und Arbeitsplätze zu schaffen. Buchdörfer zeichnen sich so vor allem durch die, im Verhältnis zur Einwohnerzahl, extrem hohe Anzahl an Buchhandlungen und Antiquariaten aus. Das erste Bücherdorf Deutschlands wurde in Mühlbeck, einem kleinen Dorf in Sachsen-Anhalt, gegründet. Mit 15 Buchhandlungen bei gerade mal 3.000 Einwohnern kann sich die die literarische Auswahl wirklich sehen lassen. Insgesamt findet man dort rund 1.000.000 Bücher.

Wem eine Bibliothek also nicht genug ist, dem reicht vielleicht ein ganzes Dorf? 

Autor des Artikels: +Maren Kahl

Kommentare

vielleserin kommentierte am 10. September 2013 um 14:59

Das klingt echt toll. Da würde ich gerne Leben und lesen und lesen und...

Zwischen den Zeilen kommentierte am 10. September 2013 um 17:52

Diese Stadt ist einfach großartig! Nächstes Jahr werde ich zum Hay Festival fahren, ich freu mich schon :)

Torsten Woywod kommentierte am 10. September 2013 um 22:03

...dann sag' uns doch unbedingt vorher nochmal Bescheid! :)

Beste Grüße!

Ben Sonntag kommentierte am 13. September 2013 um 09:55

Wales ist ohnehin ein schönes Land, da lohnt sich eine Reise eigentlich immer. Mit so einem Festival als Anreiz umso mehr. :)

Bettina kommentierte am 11. September 2013 um 04:02

So sieht das Buchparadies aus.

Merrick666 kommentierte am 11. September 2013 um 19:55

Wow, da muss ich unbedingt mal hin!

 

Bücherfreak1997 kommentierte am 11. September 2013 um 21:07

Da muss ich unbedingt mal hinfahren in Deutschland :) 

Deengla kommentierte am 13. September 2013 um 11:29

Ich hatte schon vor einiger Zeit von diesem Dorf gehört und will seitdem unbedingt mal dahin. Finde es klasse, das ihr auch darüber berichtet und ich noch ein paar Infos mehr erhalten habe. Dankeschön! :)

Verena-Julia kommentierte am 14. September 2013 um 20:14

Da würde ich ja zu gerne mal hin :) Wobei so etwas in Deutschland wäre doch auch mal toll :) Alle Buchverrückten an einen Ort und dann gehts los :D

katzenminze kommentierte am 18. März 2014 um 20:50

Oh, ein Traum! Und mein neuer Desktophintergrund...

Das steht jetzt auf meiner Reise- und Lebens-To-Do-Liste.

kommentierte am 15. Juni 2015 um 19:29

Genialer Ort!! Auch finde ich die Idee und das Umsetzen dieser Idee einfach "very british". Wenn ich wieder in England bin, werde ich mir Hay on Wye ansehen. :)