Leserunde

Shortlist-Leserunde zu "Der Vogelgott" (Susanne Röckel)

Der Vogelgott
von Susanne Röckel

Bewerbungsphase: 04.10. - 18.10.

Beginn der Leserunde: 25.10. (Ende: 15.11.)

Im Rahmen dieser Shortlist-Leserunde zum Deutschen Buchpreis stellen wir 15 Freiexemplare von "Der Vogelgott" (Susanne Röckel) zur Verfügung.

Wenn ihr eines der Freiexemplare gewinnt, diskutiert ihr in der Leserunde mit, tauscht euch über eure Leseerfahrungen aus und veröffentlicht am Ende eine Rezension zum Buch. 

ÜBER DAS BUCH: 

Hier hat eine große Erzählerin aus einer grimmigen Geschichte einen grandiosen Roman gemacht. Die Mitglieder einer wissenschaftlich orientierten Familie werden durch eine zufällige Entdeckung auf einem Kirchenbild in den schwer durchschaubaren Mythos eines Vogelgottes hineingezogen – mit einem Sog, dem sie so wenig widerstehen konnen wie der Leser dieser Geschichte. Spätestens als sich herausstellt, dass dieser Mythos eben nicht nur ein Mythos ist. Es ist eine sagenhafte, aber elende Gegend dieser Erde, wo die Verehrer des Vogelgotts leben, die ihm allerdings weniger ergeben als vielmehr ausgeliefert zu sein scheinen.
In diesem unwiderstehlichen Roman entpuppt sich eine geheime Welt als die unsere, in der die Natur ihre Freundschaft aufkündigt und wir ihrer Aggression und Düsternis gegenüberstehen.
Das ist nicht die übliche Jung und Jung Literatur, werden manche denken. Beim Lesen und vor allem Weiterlesen fragt man sich, warum man das Buch nicht aus der Hand legen kann, zumal hier nicht mit altertümlichen Spannungselementen gearbeitet wird.

ÜBER DIE AUTORIN:

Susanne Röckel geboren 1953 in Darmstadt, studierte Romanistik und Germanistik in Berlin und Paris, lebt als Schriftstellerin und Übersetzerin (Paula Fox, Antonia S. Byatt, Irène Némirovsky, Joyce Carol Oates u.a.) in München.

15.11.2018

Thema: Lieblingsstellen

Hier könnt ihr eure Lieblingszitate sammeln und euch über Absätze austauschen, die euch besonders gut gefallen haben.

Thema: Lieblingsstellen
Rotschopf kommentierte am 04. November 2018 um 14:55

Aus Teil I:

Unheimlich: "Irgendwie hatte ich die Fähigkeit verloren, mich auf diese Dinge zu konzentrieren - als stünde etwas anderes, was ich nicht nenne konnte, verhüllt im Zentrum meiner Aufmerksamkeit." (Seite 70)

"Er redete viel, aber ich begriff dennoch kaum etwas. Es war, als erhielten die Wörter in seinem Mund eine ganz neue Bedeutung, als gehörten sie zu einer unbekannten Sprache, die ich zuerst nicht verstand, die mir jedoch geläufig wurde, je länger ich mit ihm sprach." (Seite 39) Auch unheimlich, und ist Vic nur ein guter Redner oder ist es der Einfluss des Vogelgotts? Ist Vic der Vogelgott?

"Dieser Mann konnte nicht lächeln. Er verzog den Mund, die Lippen kräuselten sich, und hinter dem Spott kam etwas Lauerndes und Tückisches zum Vorschein, das mich hätte warnen können." (Seite 42) Ja, das klingt wirklich nach einer Warnung!

Sprachlich wunderschön: "Der Himmel war dunkelblau, leuchtend, die Sonne ein loderndes Feuer, dessen glühende Finger den unaufhörlich fliehenden Erdball berührten, um in Licht zu verwandeln. Ich konnte nicht aufhören, aus dem kleinen Fenster zu starren, bis die Helligkeit sich zu einem immer tiefer werdenden Rot ballte und schließlich verglühte - der Leben spendende Stern verschwunden - und unsere Sonne nicht mehr als ein schwacher Streifen Farbe im riesigen Dom der Dunkelheit. (Seiten 53-54)

"Ein unangenehmes Gefühl kroch mir den Rücken hoch; wieder schein mir, dass das, was ich vor mir sah, nicht ganz glaubhaft war." (Seite 58) Sprachlich toll, Gefühle, die den Rücken hochkriechen und unheimlich auch.

Thema: Lieblingsstellen
Gittenen Bücherfresserchen kommentierte am 04. November 2018 um 16:33

" ...und darüber das großartige Panorama des Himmels, die Wolken wie Tröpfchen auf einer riesigen seidigen, geschmeidigen Zunge, die zärtlich über den Körper der Erde fuhr."

Das hat zwar schon Jemand erwähnt aber 

So Schön!

Thema: Lieblingsstellen
Petzi_Super_Maus kommentierte am 05. November 2018 um 23:01

Mir gefiel sprachlich dieser Abschnitt, denn es zeigt deutlich diese Zerrissenheit von Lorenz: (S. 256 f.)

"Wie benebelt verbrachte ich den Tag. Und doch blieb eine seltsame, unirdische Klarheit in mir. Ich wusste nichts - aber die ganze Welt schien plötzlich hell geworden zu sein, und Dinge, die verborgen gewesen waren, traten auf die selbstverständlichste Weise, rein und zeitlos hervor."

Thema: Lieblingsstellen
Sancro82 kommentierte am 15. November 2018 um 21:05

Das ist auch meine Lieblingsstelle.

Thema: Lieblingsstellen
lesesafari kommentierte am 28. Februar 2019 um 16:35

Petzi, du bist ja richtig gut im richtige Zitate finden. :D Das ist doch der SCHLÜSSELSATZ des Buches und dann geht er ja noch im Vogelgott auf. 

Thema: Lieblingsstellen
Petzi_Super_Maus kommentierte am 03. März 2019 um 23:14

Lesa, dass DU das Buch verstehst, wusste ich ja... 

Thema: Lieblingsstellen
Rotschopf kommentierte am 07. November 2018 um 12:20

Aus Teil II:

Wieder dieser Effekt, den Anhänger des Vogelgotts (oder gar er selbst) auf andere haben: "Von da an schein Morton immer mehr hinter Lalyt zu verschwinden. […] Lalyt fesselte uns alle, weniger durch die Worte, die er sprach, als durch seine ungeheure physische Präsenz. Sein Körper schein eine besondere Stärke oder Robustheit zu besitzen, was durch den zwar schwachen, doch sehr unangenehmen Geruch verstärkt wurde, der von ihm ausging und mich seltsamerweise an den Raum erinnerte in dem mein Vater einst seine Vögel präpariert hatte." (Seite 151-152)

Und erneut: "Ich hörte ihn sprechen - und hörte hinter dem, was er sagte, etwas anderes. Es war, als redete er mit einer Stimmt auf zwei Ebenen, und wie beim Lesen eines Palimpsests wurde mit jedem Wort, dass ich entzifferte, ein anderes bruchstückhaft deutlich, das etwas ganz anderes bedeutete. (Seite 159)

Thema: Lieblingsstellen
Rotschopf kommentierte am 07. November 2018 um 12:27

Aus Teil III:

Auch hier sind es wieder die Stellen, in denen es um die Wirkung des Vogelgott-Mythos geht: "Es war, als würde sich etwas vor mir abzeichnen, dessen Wirklichkeit nicht zu bezweifeln war, doch zu dessen Erfassung sich meine Augen nicht eigneten; als fehlte mir die geeignete Brille. (Seite 207)

"Während ich ihm zuhörte, geschah etwas mit mir. Ich wurde nervös, verlor meine Festigkeit, Intaktheit, hatte das Gefühl, den Boden nicht mehr zu erreichen. Ich war wie zweigeteilt. Seine Worte drangen in mich ein, es waren vertraute Worte, und doch hatte ich den Eindruck eine fremde Sprache zu hören, die ich nur bruchstückhaft verstand." (Seite 214)

Und ein interessantes Bild: "Ich sah - mich selbst- als anderen - als die Summe meiner Möglichkeiten, die Vollendung aller Erfahrungen, alles dessen was ich in meinem Leben gedacht, gelernt, probiert hatte; alles war da, umfassend körperlos, alle Momente meines Lebens ordneten sich und schlossen sich zu einem Ganzen zusammen wie schmutzige Fetzen, die sich plötzlich als Teile eines unendlich kostbaren, schimmernden Gewandes erweisen." (Seite 217)

Thema: Lieblingsstellen
Hermione kommentierte am 10. November 2018 um 20:31

Ich fand das Ende am schönsten, weil die drei Geschwister dann wieder zusammengefunden hatten.

Thema: Lieblingsstellen
FIRIEL kommentierte am 11. November 2018 um 09:59

Da habt ihr schon all die Stellen aufgeführt, die mir auch aufgefallen sind. Hat schon etwas Faszinierendes an sich, das Buch!

Thema: Lieblingsstellen
Estrelas kommentierte am 11. November 2018 um 12:06

Der erste Teil hat mich sprachlich besonders begeistert. Folgende Stelle habe ich markiert: „Überwältigt von der Masse der abgenutzten und schäbigen Gegenstände und fasziniert von einer seltsamen vibrierenden Kraft, die den Raum durchströmte, blieb ich an der Schwelle stehen.“

Thema: Lieblingsstellen
Estrelas kommentierte am 11. November 2018 um 12:10

Auch folgende Stelle hatte eine starke Intensität: „Träume und traumartige Zustände nahmen mich mit. Alles in mir war gereizt, wie entzündet, und ich fand keine Ruhe mehr, weder tagsüber noch nachts.“ (Seite 261)

Thema: Lieblingsstellen
Samantha Roke kommentierte am 11. November 2018 um 21:50

Seite 266 -267:

"Mein Bruder Theodor hat ein Zimmer in einem Sanatorium am Stadtrand. Der Arzt sagt mir, er habe einen großen Schrecken erlebt, von dem er sich wahrscheinlich nie mehr erholen werde. Am Anfang habe er nablässig phantasiert und herumgeschrien, sich aufgeführt wie ein Berserker. Einmal habe er sich auf eine Schwesternschülerin gestürzt, und wenn es ihr nicht gelungen wäre, Hilfe herbei zu holen, hätte er ihr womöglich etwas angetan. man habe ihm dan Medikamente gegeben, die ihn beruhigten. Ursache alles dessen sei ein schwerer Verfolgungswahn, der ihn unberechenbar mache. In Gesprächen mit dem Arzt habe er immer wieder wirre Reden geführt, habe behauptet, in Afrika gewesen zu sein, und von einem Rebellenführer gesprochen, dem er sich anschloss. Dieser Mann sei ein teuflischer Zauberer und Menschenfresser gewesen, er habe alle verhext und ebenfalls zu Menschenfressern gemacht, und er verleihe ungeheure körperliche Kräfte, sodass man vor nichts mehr Angst habe und Hass und Feindschaft gegenüber geliebten Menschen empfinde. Ich spreche mit dem Arzt, ich lasse mir alles erzählen, es sieht aus, als stünde ich auf ihrer Seite. Aber dann gehe ich zu Theodor . ein Blick genügt und wir verstehen uns.

Mein kleiner Bruder! Er ist noch schmaler, zarter geworden, als er früher war. Nur seine Augen sind besser geworden, er braucht keine Brille mehr. Ich bin oft bei ihm. Dora ist auch da. Sie trägt das grünsamtene Kleid unserer Mutter. Ihr blondes Haar ist gesträubt, sie fürchtet sich, aber sie ist jetzt nie mehr allein. Wie sehr liebe ich meinen Bruder, meine Schwester. Wie habe ich ihnen früher alles missgönnt, wie dumm und blind bin ich immer gewesen. Nun sitzen wir bleichen Kinder einträchtig zusammen in dem kahlen dnklen Zimmer, und es ist, als wäre es wieder wie früher, wenn wir uns an den Boden oder an den Stamm der Eiche drückten, um, in Schatten verwandelt, von der Dämmerung aufgesogen zu werden. Ja, es ist, als wäre der alte Garten wieder da und als würden wir zwischen den schwarzen Ästen die Augen der Vögel wieder glänzen sehen. Wer ist es, der uns sucht, uns jagt? Wir wissen: Wir müssen verschwinden. Wir sehen leuchtende Schatten, schwebende Federn, Botschaften des Himmels. Wir träumen, erwachen, träumen, sinken, steigen auf und lassen uns treiben. Wir spielen. Etwas anderes haben wir nie getan, zu etwas anderem taugen wir nicht."

Thema: Lieblingsstellen
dj79 kommentierte am 13. November 2018 um 17:27

Mir gefällt am besten die Spielidee des „Verschwindens“, nicht einfach nur Verstecken und Suchen, sondern gemeinsam mit der Umgebung zu verschmelzen. Die Idee taucht an verschiedenen Stellen auf. Sie ist ein, wenn nicht das Bindeglied zwischen den Geschwistern.

Thema: Lieblingsstellen
dj79 kommentierte am 13. November 2018 um 17:52

Meine Lieblingszitate sind diese beiden:

S. 7 „Wieder einmal wurde mir schmerzlich die Zersplitterung unserer Welt bewusst, deren einzelne Teile nichts voneinander zu wissen und noch weniger voneinander zu lernen schienen, nichts jedenfalls, was über die oberflächlichen Bedürfnisse von Fremdenverkehr und Handel hinausgeht.“

Geht es uns allen heutzutage nicht oft so, dass wir uns mit eigentlich wichtigen Dingen oder Personen nur viel zu oberflächlich beschäftigen können? Ich glaube, dass wir vor lauter Reizüberflutung und Angst, irgendetwas zu verpassen, Schwierigkeiten bei der Unterscheidung zwischen Wichtig und Unwichtig haben. Wir geben uns unzähligen witzigen Sprüchen, lustigen Videos hin, analysieren das ganze I-Net nach dem günstigsten Anbieter für irgendwas, verschwenden dabei unsere Zeit und wundern uns dann, warum beispielsweise für die Familie zu wenig Zeit verbleibt. Wenn wir dann noch auf der Arbeit um jeden Preis glänzen müssen, reduziert sich das Wesentliche noch mehr.

 

S. 159 „Ich hörte ihn sprechen - und hörte hinter dem, was er sagte, etwas anderes. Es war, als redete mit einer Stimme auf zwei Ebenen, und wie beim Lesen eines Palimpsests wurde mit jedem Wort, das ich entzifferte, ein anderes bruchstückhaft deutlich, das etwas ganz anderes bedeutete.“

Dieses Zitat drückt genau aus, wie ich dieses Buch gelesen habe. Beim Lesen des Vogelgotts haben sich zwischen den Zeilen immer wieder Themen ergeben, die mir zusätzlich durch den Kopf gegangen sind. Historische Themen waren ebenso dabei wie aktuelle sozialkritische Punkte.

Thema: Lieblingsstellen
schwadronius erwähnte am 19. November 2018 um 00:13

Auf jeden Fall nicht: "Morton Artzeneien", Seite 209. Wurde das Wort jemals so geschrieben?

Es gab viele schöne Stellen und allein der rhetorischen Mittel wegen sollte der Roman erneut gelesen werden.

Seite 97: "... Denn es gab keine Hierarchie mehr zwischen Pflanzen und Tieren und Menschen; alles war Natur - Teil, Aspekt, Gesicht dieser ungeheuren Natur, die gnadenlos zerstörte und grundlos Neues entstehen ließ und mit Tausenden, Millionen von Stimmen unabhängig das Loblied auf sich selbst sang, und auch ich existierte als ein Moment dieser Natur."

Und natürlich Thedors Schlußszene.