Rezension

Schönheit irgendwo zwischen Atom und Stern

Das Fenster zur Welt -

Das Fenster zur Welt
von Sarah Winman

Bewertet mit 5 Sternen

Während des zweiten Weltkriegs begegnet der junge britische Soldat Ulysses in einem italienischen Weinkeller der sechzigjährigen Kunsthistorikerin Evelyn, die seine Sichtweise auf Kunst und dadurch auch auf die Welt verändert. Seither verbindet die beiden trotz unterschiedlicher Lebensweise ein Band der Freundschaft. Nach dem Krieg hofft Ulysses im Londoner Eastend auf einen Neuanfang, doch seine große Liebe Peg hat sich inzwischen in einen amerikanischen Soldaten verliebt. So verlässt der Engländer eines Tages seine alten Bekannten in Col's Pub und kehrt mit Pegs Tochter Alys, dem wissbegierigen Cress und dem vorlauten Papagei Claude nach Florenz zurück. 
Weder das harmonische Cover mit Zitrusfrüchten auf einem Fliesenrand und dem fliegenden Papagei in der Mitte, noch der Titel verraten einem, welch großartiger Roman sich hier verbirgt. Die Kapitel befassen sich chronologisch jeweils mit verschieden langen Zeitspannen, in denen man Details aus dem Leben der Protagonisten und der jeweiligen historischen Hintergründe erfährt. Winham schafft es von Anfang an, die Leser in den Bann der Geschichte zu ziehen. Die Sprache ist bildhaft, die zahlreichen Dialoge sind lebhaft gestaltet, und man wünscht sich, daran teilhaben zu dürfen. Oft ist der Text von Humor durchzogen – manchmal auf einzelne Wörter oder Sätze, manchmal auf ganze Passagen bezogen. Immer wieder wird auch auf bildende Kunst, Musik und Literatur verwiesen, einige Male auch auf E. M. Fosters Roman „Zimmer mit Aussicht“. Kursiv eingestreut betonen italienische Ausdrücke die Verbindung zum Sehnsuchtsland der Charaktere. Diese sind sehr detailliert und liebevoll herausgearbeitet, auch jene, die eine Nebenrolle im Roman spielen, kann man sich lebhaft vorstellen; sogar die Haustiere, allen voran der Papagei Claude mit seinem schier unerschöpflichen Shakespeare-Wortschatz.
Selbst Übersetzungsfehler können dem Lesegenuss nichts anhaben, wenn beispielsweise aus „vest“ statt Unterhemd eine Weste wird. Durch die Behandlung der vielfältigen Themen Freundschaft, Zusammenhalt, aber auch Enttäuschung, die oft damit einhergeht, schafft Sarah Winman eine wundervolle Atmosphäre. Trotz des Umfangs von über 500 Seiten kommt man durch die interessante Gestaltung einerseits schnell voran, möchte andererseits niemals zum Ende dieser Geschichte kommen; schließlich hat man bereits eine starke Verbindung zu den Protagonisten aufgebaut, die man ungern trennen möchte. Weder muss man Kunstliebhaber, noch italophil sein, um in diesem ruhigen Roman die Leichtigkeit und Lebensbejahung zu spüren - oft auch in den Worten zwischen den Zeilen.