Rezension

Der Roman ist wie ein Gemälde

Das Gewicht eines Vogels beim Fliegen
von Dana Grigorcea

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch liebe ich schon seit der ersten Seite. Die Sprache ist sehr schön, die Figuren sorgfältig gestaltet. Doch erst im Verlaufe des Lesens erkannte ich langsam die tatsächliche Genialität dieses Romans. Es gibt zwei Erzählstränge. Der eine ist im Jahr 1926 angesiedelt, wo der Künstler Constantin Avis nach New York reist, um dort eine Ausstellung seiner Werke zu eröffnen. Der andere bewegt sich in der Gegenwart, wo die Autorin Dora nach Ligurien reist, um einen Roman über Constantin Avis zu schreiben. Die beiden Erzählstränge verbinden sich zu einem einzigen Band. Es gibt wunderbare Synchronizitäten. Die wehenden gelben Vorhänge, mit weißen Linien durchzogene graue Steine und ein weißes Hütchen sind leicht wahrzunehmen. Aber es geht um noch viel mehr. Zeit und Raum verschmelzen und werden unwichtig. Das Buch wurde für mich zu einem Gemälde, das sich lohnt, in aller Ruhe und in allen Details zu betrachten. Die angesprochenen Themen sind offenbar zeitlos. Neben dem erklärten Thema, was denn Kunst sei, kann der Leser noch weitere starke Themen entdecken.
„Kunst ist ein Angebot zur Spiegelung. Jeder liest sein eigenes Buch, …“ schreibt die Autorin Dana Grigorcea auf die Frage eines Lesers. Es empfiehlt sich, dieses Zitat einige Zeit wirken zu lassen. Dieses Buch ist toll, weil es dem Leser auf meisterhafte Weise zeigt, wie die Welt in ihm drin aussieht.
Für mich ist es das schönste Buch seit Jahren. Auch ich nenne mich eine Vielleserin und habe schon eine ganze Menge wirklich sehr guter Bücher kennengelernt. Ich freue mich sehr, dass dieses Buch mit mehreren Auszeichnungen bedacht worden ist.
Dieses Buch ist das, was sich der Leser daraus macht. Jetzt. Mit einigen Jahren Abstand erneut gelesen, kann es womöglich wieder Überraschendes preisgeben. Ich bin jetzt schon gespannt darauf.